Kleine Geschichte vom Schicksal
Alle Menschen haben ein Schicksal. Bereits bei der Geburt bekommt man sein eigenes. Die Menschen haben jedoch nur wenig Einfluß auf ihre Fügung, wie man das Schicksal auch nennt.
Da kann so ein dummer Bauer ständig die dicksten Kartoffeln finden und dabei reich werden, ein anderer aber, mit guter Schulbildung, kommt dagegen nur schwer durchs Leben. Es will ihm einfach nichts gelingen, so sehr er sich auch anstrengt. Sein
Schicksal meint es nicht gut mit ihm.
Ja das Schicksal meint es nicht gut mit jedem. Und wer heute Glück hat, der kann es auch morgen schon wieder verlieren und dann nur noch Mißerfolge ernten. Das Schicksal kann sehr launisch sein. Aber:
Wer oder was ist das Schicksal?
Du kannst es Dir folgendermaßen vorstellen:
Es ist ein kümmerliches Büro, mit Wänden ohne Tapeten und ohne Fenster, beleuchtet nur von einer kargen Glühbirne, die so gerade den Raum erhellt. In den Ecken der Decke tummeln sich Spinnweben. Mitten im Raum steht ein großer
schwerer Eichenschreibtisch. Dahinter sitzt ein alter Beamter, so wie man sich üblicherweise einen Beamten aus dem 19. Jahrhundert vorstellt, mit weißem Hemd und schwarzen breiten Gummibändern um den Arm, die ihm die Hemdsärmel etwas nach oben raffen, um sie zu schützen, so wie bei einem Buchhalter aus vergangenen Zeiten (ältere Menschen werden sich sicher noch daran erinnern können), welcher gelangweilt als Schicksalsmeister seinen Job nachgeht - und das schon seit Generationen.
Vor ihm auf dem Schreibtisch liegt auf der linken Seite ein Stapel mit Mappen. Jede Mappe beinhaltet das Los eines Menschen. Rechts von ihm stehen auf dem Schreibtisch vier Stempel. Der erste Stempel hat (natürlich spiegelverkehrt, damit er auf dem Blatt richtig zu lesen ist) den Aufdruck:
„Kleiner Erfolg“, der zweite:
„Mittelgroßer Erfolg“, der dritte:
„Großer Erfolg“ und der vierte Stempel:
„Kein Erfolg!“.
Nun zieht der Beamte eine Mappe vom Stapel und schlägt sie auf. Ganz oben steht dort die Frage:
Hat dieser Mensch jetzt Erfolg (und wenn ja, wieviel)?
Und darunter ist ein großes Kästchen, wo der Stempeldruck rein soll.
Der Schicksalsmeister bewegt nun seine Hand in Richtung Stempel und zieht seinen Lieblingsstempel heraus (Nr. 4) und knallt ihn mit voller Wucht - und roter Farbe - aufs Blatt, in das dafür vorgesehene Feld:
„Kein Erfolg!“ !!!
Und so ist es dann.
Weg damit, nächste Mappe....
Nun, das ist das Schicksal, so sieht es aus. Jetzt weißt Du es.
Pierre Sens
Alle Rechte der Verbreitung liegen beim Autor.
Jede gewerbliche Wiedergabe, gleich welcher Art, bedarf der schriftlichen Genehmigung des Autors.
© Copyright by Pierre Sens