"Nach der erfolgreichen Kaperung eines mit Gewürzen beladenen Handelsschiffes machten wir uns
mit unserem kriegsmäßig bestückten Schiff, der Quedah Merchant, und der 130 Mann zählenden Besatzung vom Indischen
Ozean aus auf, zu einem im Atlantischen Ozean gelegenen Piratenstützpunkt zu fahren, um unsere Schätze an Land zu bringen.
Unsere Schiff war mittlerweile beladen mit Edelsteinen, kostbarer Seide, Gold sowie Pfeffer, Muskatnuß, Orleander, Zucker und Kaffee.
Auf dem Weg in den Atlantik mußten wir an der Insel Madagaskar vorbeisegeln.
Vor Madagaskar waren wir mit dem Schiff
jedoch in einen Sturm gekommen, nur der Steuermann Black Jack, der Schiffskoch Knurrhahn und ich konnten uns, bevor das Schiff an einem
vor der Küste im Meer stehenden Felsen zerbarst, in eine kleine Schaluppe retten, die am Heck der Quedah Merchant festgebunden war,
in der wir rechtzeitig und unbemerkt vom Rest der Mannschaft unser Schiff verließen. Das Schiff und seine Schätze waren
wohl für immer im Ozean verloren, ....
...seine Mannschaft sahen wir aber später auf der Pirateninsel Dina Arabica, welche
ca. 800 km östlich von Madagaskar im Indischen Ozean liegt, im Freibeuterhafen St-Pierre wieder.
Doch nun wurden wir erst
einmal vom tosenden Wind tief ins weite Meer hinaus getrieben.
Nach drei Tagen flaute der Sturm dann langsam ab. Wir hatten eine
kleine Ration Wasser an Bord und zu essen für wenige Tage. Wir hofften, daß der Wind sich drehen würde und uns zurück
an eine Küste blies. Doch es blieb windstill. Das Meer war ruhig, die Sonne schien unbarmherzig heiß und außer dem
Geknarre unserer Schaluppe und dem Gestöhne unseres Schiffskochs Knurrhahn, war nicht viel zu hören. Hunger und Durst fingen
fortan uns zu quälen an und es wurde von Stunde zu Stunde eine immer stärkere Qual. Wir brauchten dringend wieder etwas frisches
zu Essen und zu Trinken.
Dann endlich, nach weiteren zwei Tagen, sahen wir am Horizont die Masten eines großen Seglers.
"Rettung sehe ich!" rief ich den Kameraden Black Jack und Knurrhahn zu:
"Rettung! Wir sind
gerettet! Seht das Schiff am Horizont!". Und die beiden riefen zugleich: "Hurra, wir sind gerettet -
ein Schiff! Hurra! Hurra!".
Das Schiff kam trotz Windstille schnell näher, auch hatte es keinen einzigen
Segel gesetzt, was eigentlich verwundern sollte. Es schien, als würde es wie von Geisterhand übers Meer getragen.
Noch
ahnten wir nicht, was da auf uns zukam, unsere Freude war zu groß, um die seltsamen Vorgänge zu bemerken, die mit diesem Schiff
verbunden waren. Noch war das Schiff ja auch weit entfernt. Doch als es näher kam, sahen wir, daß das Schiff nicht im Wasser fuhr,
sondern über dem Wasser schwebte. Wir glaubten unseren Augen nicht zu trauen. Ein fliegendes Schiff!
Das fliegende Schiff, man kann
sagen: eher gleitete es über dem Wasser, kam immer näher. Man hörte von seinem Deck, als es nah genug heran war, lautstarken
Gesang, und Musik von Pauken und Geigen. Um uns war das Meer ruhig, als hätte der Ozean mit dem vergangenen Sturm seinen letzten Seufzer
von sich gegeben. Nur das frei über dem Wasser schwebende Schiff war noch zu hören. Und es wurde lauter, je näher es kam. Wirre
Stimmen hörte man von Bord zu uns herüberschallen. Damen kreischten, Seeräuber lachten, so laut und so dreckig, wie eben nur
Seeräuber lachen können. Aber wir waren ja selber mittlerweile Piraten und haben nach einer erfolgreichen Kaperung eines Schiffes
oft ebenso laut und dreckig gelacht, wie wir es jetzt selbst hörten. Und dann, mit einem Male, wurde es plötzlich totenstill. Kein
Ton war mehr zu hören, kein Wasserschlag, kein Lachen, keine Musik, auch das Geknarre unserer Schaluppe blieb aus. Und immer näher
glitt in dieser plötzlich hereinbrechenden und sehr seltsamen Lautlosigkeit das fliegende Schiff auf uns zu. Immer näher und immer
näher, kein Geräusch begleitete dabei das Schiff auf seinem Weg.
Nach einer Weile, die uns wie eine Ewigkeit erschien,
war dieses große Schiff direkt vor uns; bis auf einen Hauch kam es an uns heran. Es erhob sich mindestens drei Meter vor uns aus dem
Wasser.
Wir hatten schon viel vom "Fliegenden Holländer" gehört, aber es immer als
Seemannsgarn abgetan. Auch jetzt konnten wir kaum glauben, was wir sahen.
Über der Reling des fliegenden Schiffes hing das
Fallreep, eine Strickleiter. Wir konnten gar nicht anders, wir wurden geradezu magisch von diesem Schiff angezogen und verließen
deshalb sofort unsere Schaluppe und kletterten die Strickleiter hinauf. Noch immer war es totenstill. An Deck geklettert sahen wir uns um,
niemand war da, seltsam, wo wir doch vorher so viele Leute hörten, aber es roch auf dem Schiffsdeck sehr angenehm - nach frisch gebratenem
Fleisch und gedünsteten Gemüse. Langsam sahen wir uns auf dem Deck um und trauten unseren eigenen Augen nicht, als wir die Herkunft
dieser Gerüche sahen.
Mitten auf dem Schiffsdeck stand ein großer Tisch. Eine Tafel mit dem besten Fleisch von Wildschweinen,
Trauben und Äpfel aus Europa, Orangen und Datteln aus dem Orient, Wein, Rum - ja alles was das Herz jetzt nur begehren könnte.
Genau in der Mitte auf dem Tisch lag eine große Papierrolle, die von einem Messer durchstochen auf der Tischplatte gehalten
wurde. In der Luft lag eine unheimliche und unheilvolle Stimmung. Wir kamen, schweigend und zitternd vor Angst, näher an den Tisch heran,
um zu lesen was darauf stand. Während wir uns nun alle über den Tisch beugten und unsere Augen sich auf die Pergamentrolle richteten,
las ich meiner übriggebliebenen Crew von zwei nun überängstlichen Seeleuten, die jetzt keineswegs den Eindruck machten, als
seien sie die gefürchtetsten Piraten des Indischen Ozeans, den Inhalt dieses Schriftstückes nun vor:
"Eßt Kameraden, soviel ihr wollt! Trinkt Kameraden, soviel ihr wollt! Es wird immer genug zu
essen und zu trinken da sein, solange ihr auf diesem Schiff seit. Wenn ihr hübsche Mädchen dazu haben wollt, so fangt bald mit dem
Essen an und sie werden kommen und euch schöne Stunden bereiten. Trinkt Kameraden, wenn ihr trinkt, wird die Musik euch begleiten und
euch fröhlich stimmen. Ihr habt schon aus der Ferne gehört, wie lustig und fidel es hier zugeht. Und es wird für euch nie zu
Ende gehen, dies könnt ihr mir glauben. Das Schiff ist nämlich auf einer sehr langen Fahrt, über alle Meere hinweg.
Das ist nun unser Angebot: Eßt und trinkt soviel ihr wollt und amüsiert euch und ihr werdet des Schiffes Reisebegleiter sein, auf
einer Reise, wo ihr nie nach Wasser dürsten werdet und euch kein Hunger quält!"
Kapitän Mirror
Ungläubig sahen wir uns nun an. Doch dann verstanden wir, was das zu bedeuten hatte.
Wenn wir davon essen und trinken
würden, würden wir nie wieder von Bord kommen und mit dem Schiff weiterreisen müssen. Also sollten wir das alles lieber
liegen lassen und von Bord gehen.
Doch das war einfacher gesagt als getan. Schon seit Tagen hatten wir kaum zu essen gehabt und
unsere letzte Wasserration war seit mehr als 24 Stunden verbraucht. Wir schmachteten bei diesem Anblick und uns lief das Wasser im Munde
zusammen. Die Versuchung war groß, sehr groß.
In unseren Gesichtern standen nun schon alle weiteren Fragen geschrieben:
Was würde geschehen, wenn wir ohne zu essen und zu trinken wieder von Bord gehen? Das Meer war spiegelglatt, kein Wind wehte. Würden
wir nicht verhungern und verdursten auf unserer Schaluppe? Wäre ein immervoller Teller mit den herrlichsten Speisen, ein immer randvolles
Glas mit Wasser, Wein oder Rum dem Hungertod nicht vorzuziehen? Und hübsche Mädchen sollte es ja auch noch geben, dazu Musik und
lustigen Gesang. War das nicht eine schöne Aussicht? Ja, das war es, darin waren wir uns alle einig, wenn sie doch nicht für alle
Ewigkeit wäre! Man kann ja nicht ständig hungrig sein und Durst haben. Was geschieht, wenn man von allem gesättigt ist? Aber
dies auszumalen hatten wir jetzt keine Zeit mehr.
"Kommt!" befahl ich Black Jack und Knurrhahn,
"Laßt uns von Bord gehen!". Gekrümmt vor Hunger und mit einem gewissen inneren Widerstand wollten wir
uns nun von Bord begeben, ohne auch nur einmal herzhaft in ein saftiges Stück Fleisch hineingebissen zu haben und ohne auch nur mit einem
einzigen Tropfen Wein die trockene Kehle benetzt zu haben. So lief auch kein Wasser unsere dürstende Kehle hinab.
Doch als wir
von Bord wollten, stand uns plötzlich ein neuer und noch größerer Tisch im Weg, gedeckt mit den leckersten Speisen aus aller
Herren Länder. Und wie das Essen duftete! Es zog uns so sehr an, daß es unmöglich war, daran vorbeizugehen, wir steuerten
geradewegs, gierig wie hungrige Wölfe, darauf zu.
Fassungslos standen wir nun vor dem Tisch und jeder wartete auf ein Zeichen,
sich auf dieses Mahl stürzen zu dürfen. Die gierigen und erwartungsvollen Blicke von Black Jack und Knurrhahn richteten sich sodann
alleine auf mich, dem Kapitän.
"Nein, faßt nichts an!" wehrte ich ihre Blicke ab. "
Wir werden es auch so schaffen durchzukommen, nur: unser Wille muß stärker sein als die Versuchung. Wollt ihr das?"
fragte ich meine zweiköpfige Mannschaft und mir entgegnete ein schwaches, fast lautloses und kaum ernstgemeintes, doch gehorchendes:
"Ja, das wollen wir!"
.
So gingen wir, vom mehr oder weniger festen Willen getrieben, hier
auf diesem Geisterschiff nicht bleiben zu wollen, weiter - und zwar unseren Hinweg zurück, Richtung Fallreep, der Strickleiter.
Auf einmal stand ein weiterer Tisch im Weg, mit den süßesten Süßigkeiten. Mit türkischem Honig und arabischen Kuchen,
wie ich es in dieser Pracht vorher nur im Basar von Bagdad einmal gesehen hatte und beim Fest des Großmoguls Schahdschahan im
orientalischen Mekka.
Doch zum Glück war uns nicht nach Süßem zumute, zu sehr waren wir schon ausgehungert. Wir
wollten von Bord (ohne jetzt weiter von Neugier getrieben zu sein, in das unheimliche Schiff vorzudringen, um nach deren Mannschaft zu suchen),
und zwar so schnell es ging und so schwer es uns auch fiel - denn eigentlich wollten wir ja essen und trinken, und nur essen und trinken, dies
war ja im Moment unser sehnlichster Wunsch, da waren wir nun hin- und hergerissen, ja man kann auch sagen, in unserer Seele zerrissen. Aber ewig
wollten wir auf diesem Geisterschiff schließlich nicht bleiben und so kletterten wir mit viel Wehmut und großem Hunger und Durst
wieder die Strickleiter hinunter, hinein in unsere kleine Schaluppe.
Kaum waren wir drei wieder auf unserem Deck, begann die Musik
wieder erneut vom fliegenden Schiff her zu klingen an. Wir hörten wie einige Damen sich amüsierten, selbst wie die Seeräuber
beim Essen schmatzten, lachten und sich zuprosteten. Und wir fragten uns, vom Hunger gequält, ob wir nicht doch besser auf dem Schiff
geblieben wären? Sollten wir nicht umkehren? Doch dann fuhr - besser gleitete - das fliegende Schiff langsam mit dem Rauschen des Windes
los, obwohl es um uns vollkommen windstill war und das Meer noch immer spiegelglatt.
Als das Heck des fliegenden Schiffes an uns
vorbei war, hörten wir etwas ins Wasser plumpsen. Es war eine leere Flasche. So schien es jedenfalls. Doch war beim näheren Betrachten
festzustellen, daß die Flasche doch nicht so ganz leer war, wie es uns zuerst schien und diese etwas beinhaltete - und zwar ein Schreiben
vom Kapitän des fliegenden Schiffes: Sir Henry Mirror. Wir holten die Flasche aus dem Wasser, zogen die Papierrolle heraus und ich las dem
vor Durst sich quälenden Black Jack und dem immer hungrigen Knurrhahn, den Inhalt des Schriftstückes vor:
"Ich
der Kapitän, Sir Henry Mirror, bin Seeräuberkommandant des "Fliegenden Holländers" und verdammt in alle Ewigkeit auf
diesem Schiff zu verweilen. Nur eins kann mich und meine Crew von diesem verfluchten Schiff holen - wenn eine andere Crew uns ablöst!
Wenn ihr vom Essen gegessen hättet oder von den Getränken getrunken (es war die Heuer), dann wäre der Vertrag zustande
gekommen und ihr hättet uns abgelöst. So aber sind wir weiterhin verdammt Hunderte von Jahren mit dem Schiff über das Meer zu
fliegen, um irgendwann einmal auf andere Schiffsbrüchige, in dieser einsamen Wasserwüste, zu treffen, die soviel Hunger und Durst
haben, daß sie essen und trinken werden, bis sie gesättigt umfallen und einschlafen. Dann könnten wir von Bord gehen und diese
Bastarde müßten für uns weiterfahren.
Ihr aber, ihr ausgemergelten Schiffsbrüchige, habt es nicht getan, ihr
Hundesöhne, ihr Ausgeburt des Teufels, ihr habt weder gegessen noch getrunken, Fahrt zur Hölle, ihr elendes Pack!"
Kapitän Mirror
Mit solchen üblen Worten endete der Brief. Nun wußten wir, was geschehen wäre, wären wir der Versuchung
erlegen, uns an den erlesenen Speisen und Getränken zu laben, für immer wären wir dann mit dem fliegenden Schiff über
die Ozeane gefahren.
So aber war unsere Situation auch nicht besser. Der Hunger quälte uns sehr und der Durst brachte uns fast
um den Verstand. Je weiter aber das fliegende Schiff sich von uns entfernte, um so stärker begann das Meer sich zu bewegen. Als das
fliegende Schiff gänzlich am Horizont verschwand, brach ein Sturm los. Das Meer tobte und der orkanartige Wind trug unsere kleine
Schaluppe rasend schnell weit von diesem Ort fort - auf eine Insel mit dem wunderschönen Namen Mauritius, wo wir von den Inselbewohnern
sehr freundlich empfangen wurden. Sie brachten uns Melonen, Bananen, Säfte, frisch gegrillten Fisch und saftiges Fleisch und wir blieben
hier bei den freundlichen Leuten solange, bis wir alle mindestens 10 Kilo an Gewicht zugenommen hatten. Dann ging für uns die Reise weiter
- ins nächste Abenteuer!" beendete der Klabautermann seine Erzählung über die Begegnung mit dem fliegenden Schiff.
"Das war ja eine interessante Geschichte!" bemerkte ich und fragte den Klabautermann gleich weiter
"Hast
du denn im Sturm keine Angst gehabt?".
"Doch...., oh doch ja, ein wenig schon, aber in meinem Leben habe ich schon
viele Stürme erlebt, auf verschiedenen Schiffen. Von manchem Sturm wissen selbst die Möwen noch ein Lied zu singen." da
drehte der Klabautermann sich dreimal um seine eigene Achse ganz schnell um
Die Vöglein am Kai sangen,
das Hohelied vom "bösen Sturm",
wo mancher Seemann hat gehangen,
hinunter von seinem Aussichtsturm.
Im rauhen Wind hörte man wirre Stimmen,
inmitten des Orkans tobenden Klang,
man hörte es von überall her klingen und singen
und wie einer mit dem Tode rang.
Und als es wieder still wurde,
denn langsam flaute der Orkan wieder ab,
der Kapitän, dieser lausige Kurde,
brachte die ganze Mannschaft nun auf Trab.
Doch spürte der Seemann nun wilde Gelüste,
nach Weib, Gesang und Rum,
wollte feiern in der Wasserwüste,
denn er weiß, das Leben ist oftmals ganz schnell um.