Klabautermann

"Wie ich ein Klabautermann wurde, willst du also wissen, so so! Das ist aber eine üble Geschichte, die du dir da anhören willst. So übel, wie mein Ende als ehrenwerter Kapitän, Piratenjäger, Pirat und Bevollmächtigter des Königs von England, William III., für den ich bereits 1689 als Kaperkapitän gegen die Franzosen sehr erfolgreich gekämpft hatte und soviel Gold und Edelsteine nach England brachte, das ich von meinem kleinen Anteil selbst noch ein reicher Geschäftsmann wurde. Später als ich schon etwas älter war und erfolgreich als Geschäftsmann, mittlerweile lebte ich mit meiner Familie in New York, erinnerte sich seine Majestät wieder an mich und holte mich nach England zurück, damit ich fürs englische Vaterland Piratenschiffe aufbringen konnte, deren Beute ich nach England zurückzuholen hatte. Doch die Reise verlief anders als geplant. Vom Piratenjäger wurde ich unfreiwillig zum Piratenkapitän, ohne es selbst vorerst zu merken. Mein Ruf ging um die Welt, und ich war überall gefürchtet. Doch als ich es selbst bemerkte, war es schon zu spät. Nun wollte ich, ich war so dumm, zurück nach Hause, nach New York, zu meiner Frau und meinen Kindern und von dort nach England um die Sachlage klarzustellen, doch in England brauchte man mich als Opfer, zur Abschreckung für weitere Piraten. Man nahm mich also fest, warf mich in ein greuliches Gefängnis und dann kam das Ende mit dem Strick. Und es war der Beginn meines Lebens als Klabautermann. Und weißt du warum? Ich will es dir sagen: weil man mich dreimal gehängt hatte, verstehst du, dreimal!" und er stampfte bei diesen Worten so wütend mit seinem Holzbein auf dem Boden der Passat herum, daß die Schiffswände nur so bebten und die umherstehenden Kisten nur so wackelten.

Während ich mich von seinem Wutanfall beängstigt nun endgültig zurückziehen wollte, gab er mir dann doch zu verstehen, daß er sich wieder beruhigen wollte, indem er mir mit seinen Händen ein Zeichen gab, mich hinzusetzen.

"Verstehst du das, was ich dir gerade erzählt habe? Jeder Kapitän der dreimal gehenkt wird, wird als Klabautermann wieder zurück zu den Menschen kommen, aber diesmal als schützender Geist. Er beschützt die Seeleute sowie das Schiff und sein Gut bei Gefahr und bewahrt es solange vor Leid, wie die Mehrheit der Mannschaft an das Gute im Menschen und an die Liebe glaubt. Überwiegt einmal das Schlechte bei der Crew, sind also mehr als die Hälfte der Matrosen üble Schurken, so wird es bald so sein, daß der Klabautermann das Schiff verläßt, welches somit den Naturgewalten ungeschützt ausgeliefert ist, worauf es meistens schon bald kentert und in die Tiefen des ewigen Ozeans untergeht und für alle Zeiten mit Mann und Maus auf dem Meeresboden versinkt." gab er, selbst ein wenig beeindruckt von seinen eigenen Worten, mir zu verstehen. "Doch fangen wir mal ganz von vorne an! Ich erzähle dir ein paar wahre Begebenheiten, die ich auf meiner langen Reise erlebt habe." schlug er mir nun vor und er machte mich damit ganz neugierig.

"Ja, erzähle nur!" forderte ich ihn auf, mit einer guten Portion Ungeduld und ich vergaß vollkommen meine Eltern, die mein Verschwinden oben auf dem Deck inzwischen sicher bemerkt haben müssen und mich wohl bereits ängstlich auf dem ganzen Schiff suchen. Doch bevor ich überhaupt hierzu einen klaren Gedanken hätte fassen können, erzählte der Klabautermann bereits weiter.

"Da war ich nun schon ein erfolgreicher Geschäftsmann und hatte mich in New York niedergelassen. Meine schöne Frau Sarah Oort schenkte mir zwei Kinder, ich liebte alle sehr. Inzwischen ging ich auf die 50 zu, war also schon nicht mehr der Jüngste, aber noch sehr tatkräftig. Wie es sich für einen tüchtigen und angesehenen Geschäftsmann gehörte, hielt man sich zeitweise auch in den gehobenen und adligen Kreisen des englischen Establishment auf, deren Gunsten man sich zu sichern versuchte, denn diese Gentlemans hatten oft viel Macht und konnten einen im harten Konkurrenzkampf vor üblen Mitkonkurrenten schützen. Wer aber in deren Ungnade fiel, hatte bald nichts mehr zu lachen und in nicht weniger seltenen Fällen, bald auch kein Geschäft mehr. So war ich auch hin und wieder Gast in dieser ehrenwerten Gesellschaft, dann und wann auch bei Mister Benjamin Fletcher, dem damaligen Gouverneur von New York und später beim neuen Gouverneur von New York (der zugleich auch Gouverneur von New England war), dem edlen Herrn Earl of Bellamont, welcher schließlich mein übles Schicksal besiegelte.

Zweifellos war er ein kluger Mann, ansonsten wäre er nicht in die Position eines Gouverneurs gekommen und hätte nicht den bisherigen Gouverneur und Piratenfreund Benjamin Fletscher abgelöst, aber genauso zweifellos gehörte zu seinem Beruf auch eine schlitzohrige Ausgekochtheit und ein eiskalter Umgang mit seinen Mitstreitern und Gegnern, denen er zweifelsfrei haushoch überlegen war, konnte er doch Macht und Geld wohlwollend für sich vereinigen und anderen gegenüber ausspielen.

Die Gier nach Macht und Reichtum war bei ihm und anderen seines Standes stets so groß, daß man sie ständig neu sättigen mußte. Da sich Geld meist schneller ausgeben ließ, als man es einnehmen konnte, mußten sie sich recht bald neue Wege einfallen lassen, um an solches heranzukommen. Den Weg dazu sollte ich ihnen bereiten und sie hatten sich schon einen Plan ausgedacht. Das üble Piratentum kam ihnen dabei zu Hilfe.

Die Seeräuberei auf den Weltmeeren hatte nämlich in den letzten Jahren zugenommen und nahmen ein Maß an, das den überseeischen Handel bald völlig zum erliegen brachte. Zu viele Handelsschiffe wurden überfallen und ausgeraubt, so daß einige Handelsgesellschaften sogar in den Konkurs gehen mußten. Nichts edleres sollte es daher für einen ehrenwerten Bürger geben, seinem Vaterland und dem König treu dienen und den Piraten ihr erbeutetes Gut wieder abnehmen zu dürfen, ja diese Seeräuber selbst zu jagen und sie aus ihrem Element, dem Wasser, zu vertreiben.

Wer konnte zu dieser Zeit auch besser dafür ausgezeichnet und geeignet sein als ich, Captain William Kidd, dessen früherer Ruhm seiner erfolgreicher Taten als Kaperkapitän im Dienste der vaterländischen Flotte noch nicht verklungen war.

Die Freunde des Königs, insbesondere Earl of Bellamont, sprachen also bei mir vor und wollten mich für dieses Projekt gewinnen. Ich aber dachte erst gar nicht daran, wieder als Kaperkapitän zur See zu gehen und sagte ihnen ins Gesicht, sie sollten sich lieber einen anderen Piratenjäger für dieses Vorhaben suchen. Doch sie hatten sich an mir festgebissen und ließen nicht mehr los. Der Druck auf mich wurde verstärkt. Wenn ich mich nicht beugen würde, würde ich als Vaterlandsverräter gebrandmarkt werden und man mich aller meiner Rechte in dieser Gesellschaft entheben. Man würde mich zudem enteignen und aus New York vertreiben.
So blieb mir also nichts anderes übrig als das zu tun, was die hohen Herren von mir verlangten. Den König überredeten sie, mir einen Kaperbrief auszustellen und mir ein starkes Schiff zu geben, wobei sich königliche Hoheit natürlich selbst dann auch erhoffte, einen guten Teil der erbeuteten Reichtümer (aus dem zusammengestohlenen Vermögen der Piraten) für die eigene Schatzschatulle zu erhalten.

Die Herren Sir John Somers, der amtliche Bewahrer des Großsiegels und spätere Lordkanzler, der Herzog von Shrewsbury, ein Minister unter König Williams III. Gnaden, Graf Romney, der bevorzugte Generalfeldzeugmeister des Königs, dazu Sir Edward Russel, der Erste Lord der Admiralität und damit englischer Großfeldmarschall über alle sieben Weltmeere, finanzierten einen großen Teil dieses Unternehmens mit und wollten dafür mit 60 Prozent Anteil an der Beute beteiligt sein.

Für alle sollte es also ein großes Geschäft werden und alle sahen schon vor ihren Augen die Reichtümer, die ich ihnen von meiner Kaperfahrt mitbrachte:

Edelsteine und Halbedelsteine, Diamante und Rubine, Gold und Silber, edle Gewürze sowie allerfeinste Stoffe.
Ja, und diese Schätze brachte ich dann auch diesen hohen Herren von meiner gefahrvollen Kaperreise mit, doch man dankte es mir nicht mit Gold - sondern mit dem Strick! Mit dem Strick - verstehst du! Eine feige hinterlistige Bande, waren meine Auftraggeber. Mit dem Strick eines Galgens ließen sie mich Beiseite schaffen, diese hundsgemeinen Kerle!

Doch zuvor, noch vor meiner geplanten Rückkehr in den Hafen von New York, wo ich allerdings niemals mehr hinkommen sollte, hatte ich auf der kleinen Insel Gardiner`s Island alle wertvollen Schätze vergraben.

Im Juli 1699 machte ich dann einen verhängnisvollen Fehler, ich versuchte, noch bevor ich nach New York zurückging, in Boston bei den zuständigen Herren meine Reputation zurück zu erlangen, damit ich als freier Mensch zusammen mit meiner Familie in New York wieder als angesehener Geschäftsmann leben konnte. Beim Besuch im Hause des Gouverneurs von New York und New England, bei seiner Exzellenz, dem edlen Herrn Earl of Bellamont, wurde ich jedoch hinterlistigerweise verhaftet. Nach der Verhaftung brachte man mich, an Händen und Füßen gekettet, in das berüchtigte Stone-Gefängnis, wo ich viele Monate lang bleiben mußte, bevor man mich nach London überführte und ich dort in den Kerker von Newgate geworfen wurde, dem schon zu dieser Zeit 500 Jahre alten Gefängnis dieser Stadt (inzwischen hatte man auch alle meine Schätze auf Gardiner`s Island gefunden und sie der Regierung und dem König überstellt).

Nachdem ich dort über ein Jahr verbrachte, in diesem verdammten verfallenen heruntergekommenen feuchten muffigen Loch, deren zahlreichen Gäste in Gestalt von Ratten, Wanzen und Käfer sich hier lausig wohlfühlten, im Gegensatz zu mir, fristete ich dort mein Leben so gut ich konnte, bis eines nachmittags im Mai die Zellentüre aufging und ich in einer offenen Kutsche zur Hinrichtungsstätte durch die Straßen Londons gefahren wurde, wo ein Galgen auf mich wartete.

Der Straßenrand war mit Pöbel gesäumt; mit Säufern, Dirnen, Hafenarbeitern und Verbrechern aller Sorten. Eine üble stinkende Menschenmenge die sich da an mein schweres Los erfreuen wollte zog los, um mich baumeln zu sehen. Sie begleiteten mich den ganzen langen Weg bis zum Schafott mit Schimpfwörtern. Aber außer Schimpfwörter mußte ich auch noch eine Menge Lieder ertragen. An eines erinnere ich mich besonders ungern. Es war das letzte was ich hörte, bevor ich zum zweitenmal hängen mußte und das erste, nach meinem dritten Hänger, als ich nun zu einem Klabautermann wurde. Ich werde es Dir mal vorsingen!"
da drehte der Klabautermann sich dreimal um seine eigene Achse ganz schnell um

- wusch-wusch-wusch -

und hielt, als er wieder vor mir stand, eine Gitarre in der Hand und sein voll Hohn klingendes Totenlied begann.

Im Hintergrund hörte ich dabei eine pöbelnde Menschenmenge, als ob ich selbst in den Straßen von London zugegen wäre. Und auf der hinteren Bordwand in der Kajüte, zeichnete sich die Silhouette eines Galgens ab (wie er das nun machte, war mir vollkommen unklar, aber so ein Schiffsgeist kann wohl auch ein bißchen zaubern).

Captain William Kidd

Vorsänger:
"Oh - Captain William Kidd,
was für ein Driß,
das Seil hatte Spliß
und riß."

Chor des pöbelnden Volkes:
"Vorbei.... vorbei, ist es jetzt mit der Seeräuberei!"

Vorsänger:
"Oh - Captain William Kidd,
so schlugst du nun auf
und kamst doch wieder rauf,
so nahm das Schicksal seinen Lauf."

Chor des pöbelnden Volkes:
"Vorbei.... vorbei, ist es jetzt mit der Seeräuberei!"

Vorsänger:
"Oh - Captain William Kidd,
nun baumelst du
so ab und zu,
mal von Lee und mal von Luv."

Chor des pöbelnden Volkes:
"Vorbei.... vorbei, ist es jetzt mit der Seeräuberei!"

Vorsänger:
"Oh - Captain William Kidd,
man von dir jetzt in 100 Jahren noch spricht,
wenn einem mal der Hafer sticht
und vom dümmsten Piratenkapitän er spricht."


Chor des pöbelnden Volkes:
"Vorbei.... vorbei, ist es jetzt mit der Seeräuberei!"

Vorsänger:
"Oh - Captain William Kidd,
so`n Schiet, so`n Schiet,
das passiert,
wenn man nicht rechtzeitig flieht."


Chor des pöbelnden Volkes:
" Vorbei.... vorbei, ist es jetzt mit der Seeräuberei!"

Nachdem der Klabautermann dieses makabre Lied mir vorgesungen hatte, war es eine Weile totenstill in der Kajüte. Der Galgen im Hintergrund verschwand so schnell wie er gekommen war und auch die Geräuschkulisse des Londoner Straßenpöbels war nicht mehr zu hören. In diesem Moment hörte man überhaupt nichts. Dann aber faßte Captain William Kidd sich ein Herz und er begann wieder zu erzählen.

"Nun, das war damals so. Am Hinrichtungsplatz angekommen schubste und zerrte man mich auf ein Schafott, wo ich nun gar nicht hinwollte, und band mir einen kräftigen Strick um den Hals. Dann, ich stand oben auf einer Leiter, wurde diese mir unter meinen Füßen weggezogen, so daß der Strick sich um meinen Hals zusammenzog, also mich würgte, und mir damit die Luft raubte. Doch der Strick war nicht kräftig genug, mein schweres Gewicht zu halten und so zerriß er und ich sauste nach unten hinab auf den Boden. Nachdem sich die Überraschung beim Henker und bei den Zuschauern, die jetzt wieder ein Liedchen anstimmten, gelegt hatte, wurde ich abermals auf die Leiter gezerrt und wieder mußte ich baumeln. Doch diesmal hielt das Seil. Ich hing dort oben solange, bis jedes Leben aus mir wich. Anschließend holte man mich dort herunter, vollkommen leblos, und nachdem man mich mit Teer bestrichen hatte - diese Prozedur dauerte ein paar Tage und war sehr unangenehm, wenn man auch solche Empfindungen von einem Leichnam nicht erwartete, doch war ich ja kein gewöhnlicher Toter -, wurde ich in ein enges eisernes Gerüst gepackt, ja eingequetscht, und man hängte mich darin an der Themse an einem Galgen zum drittenmal auf, wo ich jahrelang hängen blieb und jeder der die Themse rauf oder runter fuhr, konnte mich dort oben sehen. So war das damals. Doch ohne das es jemand bemerkt hatte, entwich aus der baumelnden Gestalt ein Kobold, dessen Aufgabe es nun war Gutes auf den Schiffen zu tun. Und das war ich - der Klabautermann!

Ja der Klabautermann bin ich kleiner Fritz und nun kennst du meine ganze Lebensgeschichte."
beendete er seine zusammenfassende Erzählung über sein aufregendes Leben und sein abruptes grausiges Ende.

"Das war ja ein schlimmes Ende deines Lebens; das war aber nicht gerecht, was dir da zum Schluß widerfahren ist." bedauerte ich den Klabautermann und ich erhob mich von meinem Sitz.

"Ja, recht hast du, ein schlimmes Ende!" gab er krächzend zurück und stieß mit voller Wucht sein Holzbein gegen eine Seemannskiste, so daß diese mit lautem Krachen umfiel. "Aber was geschehen ist, ist geschehen, das kann man nicht mehr rückgängig machen. Bevor es aber zu diesem widerlichen Verbrechen an mir kam, welches mein Leben beendete, mußte ich erst einmal ein paar Abenteuer auf den Ozeanen dieser Welt überstehen. Aber nun setze dich mal wieder ganz ruhig hin, ich erzähle dir, wenn du möchtest und still bist, von meinem ersten Abenteuer auf See, der Kampf mit einem Meeresungeheuer, welches unser Schiff in die Tiefe des Ozeans hinabziehen wollte. Und nur der Mut eines Matrosen verhinderte es, das es dazu kam."

"O ja, das möchte ich hören. Ich bleibe auch ganz ruhig sitzen, wenn du mir diese Geschichte erzählst." und Captain William Kidd fing sofort zu erzählen an.

Klabautermann